Die Weltsprache Hip-Hop

  • 01. April 2023  – 
  • Rubikon

Die Weltsprache Hip-Hop

01.04.2023 – Rubikon

Die Weltsprache Hip-Hop

Die Musikrichtung war Teil einer subversiven Subkultur — in der „Zeitwende“ sieht sie sich jedoch der kommerziellen Ausplünderung durch künstliche Intelligenz ausgesetzt.

Nicolas Riedl: Wenn wir generationsübergreifend über Hip-Hop sinnieren wollen, sollten wir zunächst einmal unseren persönlichen Zugang zu dieser Kultur darlegen. Ich vermute stark, dass meine Erzählung wesentlich knapper ausfallen wird als deine, daher würde ich mir einfach mal selbst den Vortritt gewähren.

Ich kam im Alter von etwa 12 bis 13 Jahren, also im Jahr 2005/2006, mit Hip-Hop in Berührung, als auf dem Schulhof die Tracks von Aggro Berlin, Bushido, aber auch damalige Evergreens aus Übersee wie „Candy Shop“ von 50 Cent aus den billigen Handyboxen der alten Sony-Ericssons dröhnten. Wirklich angetan hat es mir dann das Bushido-Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“.

Die Komposition aus Bushidos unverwechselbarer Stimme und den dunklen Streicher-Samples von französischen Gothic-Bands wie „Dark Sanctuary“ hat eine Atmosphäre geschaffen, die einerseits über die teils sehr hohlen Texte hinwegtäuschen konnte, aber mich andererseits in ihren Bann gezogen hat. Somit habe ich Hip-Hop genau mit dieser Form von düsterer Streicher-Beat-Atmosphäre assoziiert und konnte mit den teils fröhlichen Old-School-Strömungen wenig anfangen.

Wenige Jahre später bin ich dann auf Kollegah gestoßen, der auf seine Weise eine düstere Atomsphäre in seinen Tracks transportierte. Bei diesem Interpreten habe ich das erste Mal auch bewusst auf Rap-Techniken geachtet, wie etwa die ellenlangen Reimketten, die Punsh-Lines oder das Double-Time-Rappen. Um auf den Flow zu achten, wurde ich natürlich weniger durch Kollegah sensibilisiert als durch Genetikk, die mir dann schon eher den Old-School-Hip-Hop schmackhaft gemacht haben.

Zu US-Hip-Hop hatte ich dann erst Anfang Zwanzig einen Zugang, als meine Englischkenntnisse so weit ausgereift waren — ich hatte erst später Abitur gemacht —, sodass ich mir die Texte auch über die Barriere der verschiedenen Ghetto-Slangs hinweg erschließen konnte.

Tom-Oliver Regenauer: Ich sehe da einige Parallelen. Ich habe am Anfang von den englischen Texten ebenfalls nicht viel verstanden. Bei mir begann es damit, dass ich die ganze Zeit die Beatles-Platten meiner Eltern gehört habe und schon als Kind unbedingt Schlagzeuger oder Gitarrist werden wollte. Ringo Starr ist für mich derjenige, der etablierte, was wir heute einen klassischen Beat nennen. Die Beatles waren die Ersten, die diesen coolen, latent schleppenden 4/4-Groove hatten.

Irgendwann entdeckte ich dann auch deutsche Interpreten wie Major Tom, Frank Zander oder Falco. Letzterer machte im Grunde genommen das, was wir heute als Rap bezeichnen — er sprach in Reimen und sang nicht. Aber das war natürlich noch nicht Hip-Hop. Irgendwann sah ich dann im Fernsehen einen kurzen Ausschnitt von Run DMC, in welchem der DJ, Jam Master Jay, mit einem Plattenspieler Sounds generierte. Von da an wollte ich nicht mehr einfach Musiker, sondern DJ werden, weil ich das beeindruckend fand, auch wenn mir das alles noch zu fröhlich war. Erst mit N.W.A, Mobb Deep und Wu-Tang Clan wurde das Soundbild dunkler. Das andere war mir einfach zu entspannt und „jazzy“. Dr. Dre, RZA und DJ Premier hatten jene Samples, die mich inspirierten, selbst Beats zu produzieren.

Wie gesagt, am Anfang, mit 11 oder 12, habe ich auch nicht so viel verstanden, nur so einzelne Phrasen. Ich mochte es vor allen Dingen, wenn der Künstler eine markante Stimme hatte. Und das hatten die ersten Interpreten der „Golden Era“. Heute klingt alles gleich, zum Beispiel weil die Stimmen mit „Auto Tune“ nachbearbeitet werden.

Ich sehe, du hattest schon sehr früh einen Zugang zu dieser Kultur. Lass uns mal über die politische Komponente des Hip-Hops sprechen. Zu Beginn war diese Kultur äußerst subversiv und ein Sprachrohr der Unterdrückten in der Gesellschaft.

Eigentlich nicht! Es ist insofern richtig, dass Hip-Hop zu Beginn die Musik der schwarzen Community in den Ghettos in den Staaten war. Aber am Anfang war das eine reine Partymusik. Es begann einfach damit, dass DJs an den Basketball-Plätzen in der Bronx hingegangen sind und zwei Platten von James Brown aufgelegt haben und nur die Stellen laufen ließen, an der kein Gesang, sondern nur das Schlagzeug respektive der Beat kam. Dazu brauchte man die Platte in zweifacher Ausführung, damit man die Platten links und rechts laufen lassen konnte, um dann die jeweiligen Instrumental-Abschnitte zusammenzuschneiden. Später hat man dann diese vier Takte aufgenommen und immer wieder wiederholt, sodass die Leute dazu tanzen konnten. Im Grunde genommen hat Hip-Hop als Partymusik begonnen.

Dann könnte man ja sagen, dass der heutige Massenware-Hip-Hop auf Spotify eine Rückkehr zu den Wurzeln, ein „Back to the roots“ darstellt, oder?

Ja. Nur mit dem Unterschied, dass die DJs verschwunden sind. Aber zurück zu der Entwicklung: Am Anfang waren das nur zusammengeschnittene Schnipsel aus Liedern, aus denen eine Tanzmusik erstellt wurde. Erst im zweiten Schritt, als es dann Sampler gab, war es so weit, dass man die Loops unendlich lang hintereinander schneiden und professionell darauf rappen konnte. Aber am Anfang war das Rappen nur eine Art Moderation, mit der das Publikum zum Tanzen animiert werden sollte, bei der Durchsagen gemacht wurden wie etwa, dass am Parkplatz ein Auto stünde, dass der Besitzer doch bitte wegfahren solle. Für solche Sachen war das Mikrofon, das „Mic“, da. Erst mit der Möglichkeit des Sampling standen plötzlich die Menschen am Mic — die Masters of Ceremony (MC) — im Vordergrund. Professioneller Rap entwickelte sich mit der Professionalisierung der Beat-Produktion aus der Improvisation heraus.

Das der Ursprung so „partylastig“ war, ist mir nicht bewusst gewesen. Aber wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gab es doch eine sehr lange Phase, gerade in 90er-Jahren, in welcher diese Kultur — Rap, Breakdance, Graffiti — primär ein Ausdrucksmittel, ein Vehikel für die Unterdrückten im Kampf gegen das System war. Und irgendwann hat sich zunehmend eine Kommerzialisierung eingeschlichen. Wo würdest du den Kipppunkt in dieser Kultur verorten, von dem an das Ganze in Richtung Kommerzialisierung abdriftete? Vielleicht fällt dir auch ein konkreter Interpret ein, der für dieses Abgleiten sinnbildlich ist.

Das ist schwer zu sagen. Es gab bereits in den 80er-Jahren Veröffentlichungen, die man Hip-Hop schimpfte. Die erste erfolgreiche Single kam Anfang der 80er-Jahre auf den Markt. Da wurde viel mit Synthesizern gearbeitet, folglich klang das nicht wie der Hip-Hop, den wir heute kennen. Eine Kommerzialisierung gab es von Anfang an. Als dann die MCs an den Mics wichtiger wurden, als sie anfingen, Texte zu schreiben, kam natürlich auch der sozialkritische Aspekt mit rein. Sie schrieben über ihr Lebensumfeld in den Ghettos, über die Armut und die Unterdrückung der schwarzen Community. Als das Genre zunehmend auch in den Clubs lief, in denen wohlhabende Weiße tanzten, sind natürlich auch die großen Major-Labels darauf aufmerksam geworden und begannen, diese Musikform zu vermarkten. Aber das verlief fließend, es gibt somit keinen konkreten Zeitpunkt, ab dem Hip-Hop seine Unschuld verloren hat.

Fallen dir irgendwelche konkreten politischen Erfolge ein, die der Hip-Hop für sich verbuchen kann? Irgendwelche Formen der Emanzipation, die es ohne diese Kunstform nie gegeben hätte?

Nachdem der Hip-Hop zunehmend kommerzialisiert wurde, gab es natürlich eine Gegenbewegung in den Ghettos. Der Vorwurf lautete: „Die Weißen nehmen uns unsere Musik weg, verdienen damit Geld, während wir weiter in der Armut leben.“

Man wollte die Musik zurückerobern, und so entstand im Grunde genommen der Gangsta-Rap, auch Street-Rap oder Reality-Rap genannt. Es folgte eine Flut an sozialkritischen Texten. Das war auch die Zeit von und nach Macolm X und Martin Luther King, in der die Black-Panther-Bewegung sehr stark wurde. Die Künstler hatten nicht den Zugang zu den teuren Tonstudios wie die reichen Weißen und nahmen so ihre Lieder bei sich zu Hause auf. Sie schilderten sehr ungeschminkt die Missstände in den Ghettos. Und die dortige Situation war in den 80ern wirklich desaströs.

Gerade in diesem Jahrzehnt gab es eine immense Flut an Kokain, Heroin und Crack. Manche Viertel sahen wirklich wie Kriegsgebiete aus. Da gab es keine Sozialwohnungen oder Sozialhilfe, das war „Wild West“. Der Verdienst dieser Musik war es, dass auch die restliche Gesellschaft auf die dortige Situation aufmerksam wurde. Die schwarze Bevölkerung hat sich mit dieser Musik Gehör verschafft. Es war nach Jazz und Soul die vereinnahmendste kulturelle Strömung aus der Black-Community, die im Mainstream ankam und nicht mehr ignoriert werden konnte.

Aber hat diese Musik dann auch tatsächlich eine Wirkung gezeitigt, also dass die soziale Situation in diesen Vierteln merklich besser wurde? Wurden Sozialwohnungen errichtet, soziale Angebote gemacht, und hat sich die Lebensqualität deutlich verbessert?

Nicht in dem Sinne, dass der Staat oder die Stadt kamen, um dort die sozialen Verhältnisse durch konkrete politische Maßnahmen zu verbessern. Aber dadurch, dass die Black Community auf sich aufmerksam machte, konnten Konzerte veranstaltet, Mixtapes verkauft werden, und dadurch floss mehr Geld in diese Viertel. Irgendwann traten die DJs dann auch in gut zahlenden Clubs in Manhattan auf und nicht nur in irgendwelchen Hinterhöfen. Hip-Hop kam in die Charts. Das warf zusätzliche Aufmerksamkeit auf die desolaten Zustände in den Armenvierteln, sodass irgendwann auch politische Maßnahmen ergriffen wurden, um die Zustände in der „Hood“ zu verbessern.

Sprechen wir mal über analoge Tendenzen in Deutschland und Europa. Hier wurde das Konzept gewisserweise adaptiert. Wobei man natürlich sagen muss, dass das Wohlstandsgefälle hier — noch – nicht vergleichbar mit dem in den USA ist. Ich denke in diesem Kontext vor allem an Klassiker wie „Mein Block“ von Sido, welcher 2004, kurz nach Initiation der Agenda 2010, erschien. Ich kann keinen „Impact“ erkennen, dass sich durch solche Tracks die soziale Situation in Deutschland verbessert hätte. Im Gegenteil ging es ja in den letzten zwei Dekaden immer weiter bergab.

Zugleich habe ich das Gefühl, dass diese Armut zunehmend glorifiziert wird; ich sehe Jugendliche aus der Mittelschicht, die die Musik über Armut hören und das irgendwie „abfeiern“, anstatt das Problem als solches zu erkennen und sich für eine Verbesserung einzusetzen. Man hört diese Musik und schaltet sie dann wieder aus, so wie man auch einen Film pausiert oder wie man ein Buch einfach weglegt. Das Geschilderte bleibt gewissermaßen Fiktion, obwohl es für die Interpreten eine harte Realität darstellt.

Hip-Hop hat ja in Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie in den USA vollzogen und begann als Partymusik. Die ersten Bands haben auf Englisch gerappt, bis man sich irgendwann traute, seine Muttersprache zu verwenden. Das galt zunächst als nicht „kredibil“, beziehungsweise glaubwürdig.

Erst später kamen ernste, sozialkritische Tracks, zum Beispiel von Torch und Advanced Chemistry. Die haben, neben einem Song mit der jungen Anke Engelke, zum ersten Mal einen reichweitenstarken Track aufgenommen, der das Thema Ausländerfeindlichkeit im Deutschrap thematisierte. Mitte der 90er und in den frühen 2000er-Jahren wurde es dann zunehmend politischer und zuweilen auch philosophischer. Es entstanden Bands wie RAG, Lyroholika, Blumentopf, STF, Ai-Tiem, Die Firma oder Anarchist Academy. Gehaltvolle Texte waren bei diesen Künstlern integraler Bestandteil der Musik.

Hat dich das geprägt?

Durchaus!

Hip-Hop war und ist meine „Religion“. Das Schöne an dieser Religion ist, dass es keine Rolle spielt, wo du herkommst, wie viel Geld du hast, wie du aussiehst, was du glaubst oder ob du zum Beispiel im Rollstuhl sitzt — du bekommst in der Community Respekt, wenn du mitmachst und das einbringst, was du kannst.

Du bist als Mensch willkommen. Ich war überall auf der Welt unterwegs, und immer, wenn ich anderen Hip-Hoppern begegnet bin, hat man sich sofort verstanden. Da spielten Religion, Hautfarbe, Ethnie oder das Alter keine Rolle mehr — man hat sich sofort verstanden, weil Hip-Hop eine universelle Sprache ist.

Aber um auf deinen vorherigen Punkt zurückzukommen: Das, was beispielsweise ein Sido in „Mein Block“ rappt, ist selbstverständlich nicht ansatzweise mit dem zu vergleichen, was sich in den US-amerikanischen Ghettos zugetragen hat. Du kannst als Weißer in einer überwiegend weißen Gesellschaft nicht die gleiche Ausgrenzung erfahren wie „People of Color“ in den USA, die systematisch unterdrückt wurden und wo du selbst in Bussen nicht auf der gleichen Bank sitzen durftest wie Weiße. Das ist ein ganz anderes Momentum an gesellschaftlicher Ächtung.

Deswegen hat die Community in Amerika viel mehr politische Aufmerksamkeit generiert. Das kann ein Berliner nicht sagen, egal in welchem Armenviertel er wohnt und wie miserabel seine wirtschaftliche Lage ist. Man wird vielleicht hier und da schlechter behandelt, aber man wird nicht so segregiert wie ein Dunkelhäutiger in den USA der 60er-, 70er- oder 80er-Jahre. Deswegen konnte aus der kulturellen Bewegung in Deutschland auch kein signifikantes Veränderungspotenzial für die politische Landschaft oder die Zivilgesellschaft erwachsen.

Den USA und Europa ist in dieser Hinsicht wiederum gemein, dass Rapper als Reporter der Straße fungierten. Durch sie erfuhren die Menschen aus der vornehmlich weißen Mittelschicht, welche Missstände in den jeweiligen sozialen Brennpunkten herrschten. Diese Berichte ersetzten die beschönigenden Nachrichten, die dem unbedarften Konsumenten suggerierten, es sei alles in bester Ordnung im Lande. Die Armut und die Kriminalität wurden sichtbar.

Aber irgendwann hat sich das komplett gedreht, sodass dieser Lebensstil in den Ghettos und Randbezirken glorifiziert wurde. Die Kids fanden es irgendwann „cool“, dass man sich in den Kopf schießt oder Drogen dealt. Dabei war es nie die Intention dieser Musik, all das zu glorifizieren. Im Gegenteil! Sie sollte als Mahnung fungieren, aufrütteln und die Gesellschaft darauf aufmerksam machen, was in diesen Vierteln an Negativem geschieht.

Du hast gerade die Glorifizierung des Gangster-Seins angesprochen. „Harter Rap“ ist in diesem Zusammenhang ein geflügeltes Wort. Dieser geht nicht selten mit der Ausformulierung extremer Gewaltfantasien einher. Ich denke da an die Kollabo-Alben „Jung, brutal, gutaussehend“ von Kollegah und Farid Bang. Siehst du darin eine Art „Zivilisierung“ der Gewaltfantasien insofern, als diese durch die Musik ein Ventil finden? Wenn das Gewaltpotenzial etwa dadurch ausagiert wird, indem es beispielsweise im Fitnesscenter beim „Pumpen“ kanalisiert wird und kraft dieser harten Musik noch mehr Gewichte gestemmt werden können?

Kunst darf alles! Es gibt für mich kein Zwischending, keine Grauzone.

Alles ist erlaubt, solange es nicht justiziabel ist, wie beispielsweise Aufrufe zu physischer Gewalt. Alles andere ist in der Kunst erlaubt. Früher gab es Künstler, die auf die Bühne und ins Publikum uriniert oder ihre Fäkalien im Museum ausgestellt und das als Kunst ausgewiesen haben. Warum sollte es dann Grenzen bei Rap-Texten geben? Außerdem hatten Punk, (Hard-)Rock oder Metal doch auch immer harte und aggressive Texte, oder?

In unserer alten Band, als Teenager, haben wir uns auch mal fiktive Szenarien von Straßenkämpfen und Revolutionen vorgestellt. Dabei haben wir auch viel Blödsinn erzählt und mal gerappt, man solle Merkel eine auf die Nuss hauen und solche Dinge. Aber das waren fiktive Settings. All das darf man sagen, das ist die Freiheit der Kunst. Wenn man nun anfängt, irgendwelche Grenzen zu ziehen, dann geht es politisch, gesellschaftlich und künstlerisch in eine ganz falsche Richtung. Das darf nie passieren, die Kunst niemals eingeschränkt werden. Sonst wird es wirklich totalitär. Das schließt eben auch geschmacklose Sachen mit ein.

Und ja, es ist ein guter Katalysator. Wenn ich drei Stunden im Studio meinen Frust „rausgerappt“ habe oder wenn ich beim Fitnesstraining Songs höre, in denen jemand schreit „Fuck the Police!“ oder so, dann kann ich damit sehr gut — und ohne jemandem zu schaden — meinen Frust über das herrschende System rauslassen. Ein idealer Blitzableiter. Wie Headbanging für Heavy-Metal-Fans.

Darüber hinaus ist es auch immer die Aufgabe der Kunst, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Die Kunst muss dem Künstler einen Raum geben, in welchem sich dieser unverfälscht und authentisch ausdrücken kann und darf, einfach schon, damit der Künstler nicht irgendwann verrückt wird. Was in einem rumort, muss einfach raus. Mit welcher Ausdrucksform ist dann einerlei — das kann Musik sein oder auch Bildhauerei. Es wäre besser, mehr Menschen würden den Weg der Kunst wählen, statt den Frust auf Social Media oder gegenüber ihren Mitmenschen rauszulassen.

Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist, ist die Wandlung der Song-Architektur im letzten Jahrzehnt. In meiner Wahrnehmung waren bis in die Mitte der 2010er-Jahre Rap-Songs wie folgt aufgebaut: zwei bis drei Parts (Strophen) à 16 Bars (Verse), dazwischen die Hook (der Refrain), und vielleicht gab es am Ende noch eine Bridge. Es war das Normalste, dass die Tracks über drei Minuten gehen.

Heute kann man froh sein, wenn der durchschnittliche Rap-Song länger als 2,5 Minuten geht. Die Songs werden auf Grundlage von Spotify-Algorithmen konstruiert, sodass möglichst viele Zuhörer erreicht werden. Da Streams erst nach wenigen Sekunden als solche gezählt werden, beginnen viele Rap-Songs mittlerweile direkt mit einer — im besten Falle — eingängigen Hook, die den Zuhörer für die notwendigen ersten Sekunden an den Song binden soll, ehe er weiterklickt.

Hinzu kommt der überaus inflationäre Einsatz von Stimmnachbearbeitung und jaulenden Autotune-Effekten, die zumeist die Unzulänglichkeiten des Interpreten kaschieren sollen. Wie kannst du dir diesen Wandel der Song-Architektur erklären? Hat das rein kommerzielle Gründe, oder stecken andere Motive dahinter? Hat das vielleicht auch etwas mit bestimmten Frequenzen zu tun? Es gibt schließlich auch die Debatte darüber, warum Songs mit 432 Hz und nicht mehr mit 440 Hz produziert werden?

Wir müssen hier zwischen Form und Inhalt differenzieren. Der Rap, den ich früher gerne gehört habe, der hatte gar keine Hook. Da wurde einfach durchgerappt. Der Refrain hat sich erst später eingeschlichen, dann nämlich, als Rap zunehmend im Radio gespielt wurde und es zwecks des Wiedererkennungswertes sinnvoll war, einen Refrain einzubauen.

Früher hatten die Künstler etwas zu sagen, und entsprechend lang waren die Lieder. Nun folgt die Form dem Inhalt, der kaum noch vorhanden ist. Man arbeitet mit Song-Schablonen, die einfach nur noch mit austauschbaren Texten gefüllt werden. Das ist ja auch ein klarer Indikator dafür, dass die Gesellschaft verblödet.

Mit der Einführung der Smartphones im Jahr 2007 sind wir Menschen messbar dümmer geworden. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist in dieser Zeit von 16 auf 11 Sekunden runtergegangen. Und wir haben eine Gesellschaft, die sich nur noch mit Bildschirmen beschäftigt anstatt mit Büchern oder realen Erfahrungen. Entsprechend gibt es nur noch wenige Künstler mit Grips in der Birne. Die meisten versuchen nur noch, auf irgendwelche Wellen aufzuspringen und damit Geld zu machen. Alles folgt nur noch der Vermarktungslogik der Plattformökonomie.

Hip-Hop ist zu einem Massenprodukt geworden, gewissermaßen der neue Schlager. Ich merke es bei mir selber, dass ich gar nicht mehr up to date bin, wenn ich den Deutschrap-Kosmos zwei Wochen nicht verfolge. Plötzlich gibt es „Superstars“, von denen ich noch nie zuvor gehört habe. Von T-Low beispielsweise habe ich das erste Mal gehört, als er seinen Auftritt beim Splash-Festival völlig vergeigt hat und komplett Off-Voice gerappt hat und das meiste vom Playback kam. 2006 wurde Kollegah auf diesem Festival allein deswegen schon gescholten, weil er das Mikrofon falsch gehalten hatte. Das zeigt doch, wie sehr der Anspruch der Hörer an die Künstler gesunken ist!

Aber diese Schablonen, von denen du gesprochen hast, lassen sich ja auch auf die Künstler selbst anwenden. Man nimmt einfach irgendeinen Namen, hängt ein „O“ und die ersten drei Zahlen der Postleitzahl dran, und schon ist ein neuer Künstlername geboren. Würde ich eine Rap-Karriere anstreben, könnte ich mich einfach „Riedlo814“ nennen. Fertig.

Auch die ganze Produktionskette, die an einem solchen Künstler hängt, ist mittlerweile ein reines Massenprodukt geworden. Man denke nur an Musikvideos. Ich erinnere mich noch an den Beginn der 2010er-Jahre, als es wirklich noch etwas ganz und gar Besonderes war, wenn ein Künstler in einem aufwendig gestalteten Musikvideo mit vielen Effekten, ästhetischen Kulissen und beeindruckenden Choreografien aufgetreten ist. Heute sehe ich irgendwelche No-Names, die in Hochglanzvideos planlos umherspringen.

Das ist natürlich eine Sache der technischen Evolution. Als ich angefangen habe, Beats zu bauen, musste man sich wirklich noch mit der Technologie beschäftigen, musste einen Sampler kaufen und hat sich dann auch gewundert, weshalb keine Musik rauskommt, wenn man gewisse Knöpfe drückt. Man musste erst einmal Platten suchen und Töne aufnehmen, um so einzelne Schnipsel der Platte von maximal drei Sekunden Länge zum Sampeln zu verwenden. Bassline, Kickdrum, Snare — all das musste man einzeln suchen und zurechtschneiden, um einen Beat bauen zu können. Man benötigte noch ein Grundverständnis von Takt, Melodie und Komposition, um daraus etwas zu machen, das sich gut anhört.

Heute öffnest du einfach eine Software wie „Logic“ oder „Garage Band“ und findest darin so viele Bestandteile des Beat-Bauens in vorgefertigter Form, für die du früher dieses technische Grundverständnis benötigt hast. Da ist einiges vollautomatisiert. Heute kann ich dir so einen Beat, der im Fernsehen oder so läuft, in fünf Minuten zusammenbasteln. Mit Können hat das nichts zu tun, du musst keinerlei Ahnung von Musik haben, um Musik zu machen.

Und in anderen Bereichen verhält sich das nicht anders. Ein Musikvideo kannst du heute notfalls mit dem iPhone machen und schneidest das dann abends schnell auf dem Mac zusammen. Damit hast du dann ein ganz passables Video. So gesehen kann man heute leicht mit Home-Equipment machen, wofür man früher noch 20.000 Euro gezahlt hätte.

Hinzu kommen noch die derzeit gehypten Chatbots. Die könnten vermutlich so einen typischen Deutschrap-Song von heute ohne Weiteres verfassen, und das in wenigen Sekunden.

Es gibt mittlerweile einen David-Guetta-Song mit einem Eminem-Feature, welches er nie gemacht hat. Da wurde durch Chat-GPT maschinell ein Text verfasst, ein anderes AI-Tool für Stimmenimitation hat diesen mit Eminems Stimme intoniert, und fertig war das Eminem-Feature, welches es nie gegeben hat.

Das heißt, es gibt einen Eminem-Track, der nicht von Eminem ist? Wenn wir so weit sind, wäre es ja wohl für einen „Rapper“ ein Leichtes zu sagen, er hätte keine Lust, ins Studio zu gehen — stattdessen könnte er sich ein ganzes Album von Bots und der KI produzieren lassen?

Theoretisch ja. Ein Beat ist superschnell produziert, du musst vielleicht hier und da noch etwas schneiden, dann noch ein klein wenig Mastering, und der Song ist fertig.

Wahnsinn! Im Grunde genommen ist damit dem Hip-Hop das Herz amputiert worden.

Das ist das Programm der Zeitenwende. Dazu gehört eben auch, dass Kunst und Kultur ausgehöhlt und entleert werden und der Mensch als Komponente nutzlos gemacht wird. Letztlich scheint es, als ob Kunst entmenschlicht werden soll. Sieh dir einfach mal Filme wie „Das fünfte Element“ an. Da ist die Kultur noch noch eine Konserve, die im Prinzip nicht mehr das hat, was Kultur eigentlich ausmachen sollte, nämlich kritisch zu sein.

Kunst ist nur dann gut, wenn die eine Hälfte des Publikums sie gut und die andere Hälfte scheiße findet. Wenn alle deine Kunst gut finden, ist diese meistens beliebig, weil sie nicht provoziert. Dabei muss Kunst immer ein provozierendes Element haben. Sie muss der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und Missstände aufzeigen. Sie soll Diskurs anregen, anstatt nur zu gefallen.

Wenn die Kunst nur noch ein Konsumprodukt ist, eine im Hintergrund laufende Fahrstuhlmusik, dann entbehrt sie jeglicher Emotionalität. Aktuell wird alles immer emotionsloser, immer generischer, weniger anspruchsvoll, weniger inhaltlich. Und das gehört alles in diese Agenda der Degeneration des Menschen — je weniger Kultur du hast, desto weniger drückst du dich aus. Das ist ein Kreislauf. Die nächste Generation findet vielleicht gar keine Kafkas, keine Kinskis und keine Beatles mehr. Kurzum: keine wertvolle, analoge, von Menschen gemachte kritische Kunst oder Kultur. Woher soll dann der Samen für den Nachwuchs kommen, wenn dieser auf so etwas gar nicht mehr zuzugreifen weiß?

Aber gibt es gegen diese Entwicklung irgendein Bollwerk? Ich frage mich, wie wir da wieder rauskommen?

Ich bin da eigentlich immer hoffnungsvoll. Ich denke, dass irgendwann alle Menschen, die noch nicht komplett sediert, hypnotisiert und verblödet sind, merken, dass das Leben keinen Spaß mehr macht, wenn man immer nur die gleiche Musik hört und die immer gleichen Bilder sieht, wenn sich nirgends Widerworte finden. Darauf sind wir Menschen nicht ausgerichtet, und daher bin ich auch davon überzeugt, dass diese Dehumanisierung auf Dauer nicht funktionieren wird.

Die Wahrheit ist diese Kerze, die selbst im dunkelsten Raum noch irgendwo Licht hinwirft. Und dieses Licht wird sich durchsetzen. Vielleicht wird es länger dauern, bis es so weit ist, aber Wahrheit und Liebe werden sich durchsetzen. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Kein Imperium hat ewig gehalten. Das gilt auch für das gesichtslose, technokratische Imperium, welches wir derzeit im Aufbau befindlich sehen.

Bleiben wir noch einen kurzen Moment bei der KI. Würdest du sagen, dass wir uns für eine erstrebenswerte Zukunft gänzlich von der KI und ihren Möglichkeiten lossagen müssen, oder gibt es deiner Meinung nach auch Potenziale der KI, die wir besten Gewissens beibehalten können? Beispielsweise irgendwelche lästigen Arbeitsprozesse in der Kunst, die keine Freude bereiten, aber für die Entstehung des Kunstwerks durchgeführt werden müssen — die könnte man doch theoretisch dem künstlich intelligenten Laufburschen überlassen, oder?

Ja klar! Ich will auf keinen Fall Revisionismus verbreiten. Ich selbst nutze „Logic“, weil das viel schneller geht als früher. Als ich eine Bandmaschine hatte, bei der man zwei Rollen vom Band nehmen, mit der Schere schneiden und zusammenkleben musste, sodass das alles perfekt passte, war das sehr zeit- und kostenaufwendig. Das mache ich mittlerweile auch mit „Logic“. Aber der kreative Prozess davor liegt ja immer noch in meiner Hand. Da entstehen die Dinge analog.

Zur KI: Ich kann mir schon vorstellen, dass man die KI damit beauftragen kann, dass sie beispielsweise eine Kurzbeschreibung zu einem Album verfassen soll, damit Interessenten eine Ahnung davon haben, um was für eine Platte es sich handelt. Wir sollten die KI als Hilfsmittel begreifen, wir dürfen aber nicht dahin kommen, dass wir von ihr kontrolliert werden oder sie einsetzen, um etwas zu kreieren, das dem Homo sapiens obliegt: Emotionen.

Was hältst du davon, wenn wir zum Ende unseres Gespräches noch je zwei bis drei Longplayer auflisten, von denen wir der Meinung sind, dass man diese als politisch aufgeweckter Mensch gehört haben sollte?

Ja, das ist eine gute Idee! Ich fang mal an mit:

„Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ von Wu-Tang Clan (1993).

Wer sich mit amerikanischem Hip-Hop beschäftigt, sollte sich unbedingt mit diesem All-Time-Classic-Album auseinandersetzen. Das ist für mich die Oberklasse der New York Golden Era, gefüllt mit sozialkritischen Texten. Da sind sehr viele aggressiv klingende Songs drauf, aber eben auch Soul. Allein die extrem gute Produktion macht das Album so hörenswert.

„Unter Tage“ von RAG (1998)

Das ist für mich das Album mit den besten jemals verfassten Deutschrap-Texten. Das sollte man sich unbedingt anhören, das hat so geniale sprachliche Kniffe und eine tiefsinnige Lyrik. Ich höre es noch heute, nach über 20 Jahren, und finde immer noch unentdeckte Wortspiele und Vergleiche in den Texten. Darüber hinaus ist auch dieses Album unglaublich gut produziert. Der Sound ist sehr angenehm, wenig aufdringlich, analog produziert und sehr zeitlos. Man kann sich das selbst heute noch gut anhören.

Leider ist der talentierteste Lyriker der Band heute politisch eher im Mainstream angekommen. Irgendwie hat er die Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht wirklich mitbekommen. Vor Kurzem hat er eine Single gegen Querdenker veröffentlicht — ich bin kein Querdenker in dem Sinne, habe nichts mit dieser Vereinigung zu tun, aber das ist für mich völlig unverständlich. Früher versprühten seine Texte einen sehr rebellischen Unterton und klangen staatskritisch. Davon ist heute nicht mehr viel geblieben.


Das kenne ich nur allzu gut. Ich bin auch von vielen Interpreten in den letzten drei Jahren enttäuscht worden. Insbesondere von Prinz Pi. Dieser war früher so immens systemkritisch. Davon ist heute nichts mehr geblieben. Er hat beispielsweise Features mit Radiomusikern wie Mark Forster und längst keine Berührungsängste mehr mit radiotauglichen Hooks. Früher hat er Textzeilen geliefert wie:

Fürchtet euch vor Nadeln, sie impfen euch mit Gift /
Uncle Sam's Arsch ist ein grinsendes Gesicht.

Das ist von dem Album „Teenage Mutant Horrorshow 2“ von 2009. Das Album lief bei mir im ersten Lockdown in der Dauerschleife, weil es in dieser Zeit so gut gealtert war. Doch anscheinend kann sich der Prinz an seine alten Werke wohl nicht erinnern ...

Aber dann will ich jetzt mal meine drei Alben auflisten:

„Free Spirit“ von Kollegah (2022)

Kollegah hat in den drei Jahren weitestgehend geschwiegen, aber immer wieder in mal mehr, mal weniger kryptischen Textzeilen durchschimmern lassen, dass er versteht, was hier abläuft. Auf diesem Album spricht er endlich Tacheles und animiert den Hörer, sich von allen gedanklichen Ketten freizusprengen, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich nicht weiter vom System indoktrinieren zu lassen. Der Titel ist Programm, und ich denke, dass das Album mit jedem weiteren Jahr immer besser altern wird, sodass wir irgendwann auf diesen Longplayer zurückblicken und staunen, wie sehr er seiner Zeit voraus war.

Darüber hinaus hat das Album einen interessanten Leitfaden: Es beginnt in einer — für Kollegah typischen — düsteren Atmosphäre und wird dann im weiteren Verlauf immer lichtvoller und erhebender. Hier zeigt sich Kollegah vermehrt von seiner spirituellen Seite. Die Platte wurde in der Öffentlichkeit natürlich verrissen — ein Indikator, dass er einen wunden Nerv getroffen hat.


„MDNA“ von Genetikk (2021)

Genetikk waren ja unter den Rappern mit dieser Millionenreichweite wohl die lautstärksten. Gerade auf Twitter sind die ja vollkommen eskaliert und haben kein Blatt vor dem Mund genommen. Gerade im Kreis vieler Maßnahmenkritiker dürfte dieses Album bekannt und beliebt sein. Ich persönlich verbinde es mit den vielen Demonstrationen im Jahr 2021, insbesondere Tracks wie „Requiem“, „Antiassimiliert“ und natürlich ganz besonders „German Angst! (Der Traum ist aus)“. Die melancholischen Momente des Jahres 2021, hervorgerufen durch die massiven Repressionen, verbinde ich mit dem Track „Supernova“. Ich kann mir vorstellen, dass diese Platte vielen Menschen Kraft gegeben hat, die sich 2021 einsam und isoliert gefühlt haben.


„Alchemist“ von Kilez More (2017)

Das Album ist so „gefährlich“, dass wir es gar nicht auf Spotify verlinken können, weil es von Spotify 2021 gelöscht wurde. Kilez More, der seine Straßenkredibilität aus seiner Präsenz bei Demonstrationen schöpft, konnte damals schon auf eine lange Diskografie systemkritischer Tonträger zurückblicken. Keiner davon hatte jedoch kommerziellen Erfolg. Mit „Alchemist“ sollte das anders werden. Es wurden überaus aufwendige Videos produziert, und in den Klangteppich wurde entsprechend investiert, sodass sich die Beats mit der oberen Liga messen lassen konnten. Dass die systemkritischen und auch spirituellen Texte des Album à la bonne heure sind, brauche ich, glaube ich, nicht zu erwähnen.

Als das Album damals im Frühsommer 2017 erschien, war das eine Sensation, weil es Platz 4 der deutschen Album-Charts erklomm. Und entsprechend skandalös war es, als sich alle Hip-Hop-Medien — außer Rap.de — in Schweigen hüllten. Damals haben physische Albenverkäufe noch eine Rolle gespielt, obwohl Spotify zu dieser Zeit schon sehr dominant war. Und trotz der Umbruchphase hat es Kilez More geschafft, diesen systemkritische Longplayer in die Charts zu hieven. Diese Platte lief bei mir im Sommer 2017 in der Dauerschleife und ist auch heute nach fast sechs Jahren immer noch eine enorm starke Platte. Die Löschung durch Spotify ist da im Grunde genommen ein Ritterschlag.


Ich denke, damit haben wir unseren Lesern doch eine schöne Palette an Hörstoff mitgegeben.

Vielleicht findet jetzt sogar der eine oder andere, der zuvor mit Hip-Hop nichts am Hut hatte, einen Zugang zu dieser Kultur. Vielen Dank für dieses generationsübergreifende Gespräch, ich habe sehr viel gelernt!

Sehr gerne! Im Hip-Hop gilt:

„Each one, teach one.“


Werke von Tom-Oliver Regenauer aka. Sync Floyd:


Sound Survivors — Weltkrieg V3.0 (Produktion: Regenauer / Text: Andrasfalvy, Regenauer, Laubel)



Sync Floyd // #WIAHR (feat. Craig G. x Leona Berlin)



Sync Floyd // The Virus (feat. Craig G.)

von Tom-Oliver Regenauer

Die Weltsprache Hip-Hop

01.04.2023 – Rubikon

Die Weltsprache Hip-Hop

Die Musikrichtung war Teil einer subversiven Subkultur — in der „Zeitwende“ sieht sie sich jedoch der kommerziellen Ausplünderung durch künstliche Intelligenz ausgesetzt.

Nicolas Riedl: Wenn wir generationsübergreifend über Hip-Hop sinnieren wollen, sollten wir zunächst einmal unseren persönlichen Zugang zu dieser Kultur darlegen. Ich vermute stark, dass meine Erzählung wesentlich knapper ausfallen wird als deine, daher würde ich mir einfach mal selbst den Vortritt gewähren.

Ich kam im Alter von etwa 12 bis 13 Jahren, also im Jahr 2005/2006, mit Hip-Hop in Berührung, als auf dem Schulhof die Tracks von Aggro Berlin, Bushido, aber auch damalige Evergreens aus Übersee wie „Candy Shop“ von 50 Cent aus den billigen Handyboxen der alten Sony-Ericssons dröhnten. Wirklich angetan hat es mir dann das Bushido-Album „Von der Skyline zum Bordstein zurück“.

Die Komposition aus Bushidos unverwechselbarer Stimme und den dunklen Streicher-Samples von französischen Gothic-Bands wie „Dark Sanctuary“ hat eine Atmosphäre geschaffen, die einerseits über die teils sehr hohlen Texte hinwegtäuschen konnte, aber mich andererseits in ihren Bann gezogen hat. Somit habe ich Hip-Hop genau mit dieser Form von düsterer Streicher-Beat-Atmosphäre assoziiert und konnte mit den teils fröhlichen Old-School-Strömungen wenig anfangen.

Wenige Jahre später bin ich dann auf Kollegah gestoßen, der auf seine Weise eine düstere Atomsphäre in seinen Tracks transportierte. Bei diesem Interpreten habe ich das erste Mal auch bewusst auf Rap-Techniken geachtet, wie etwa die ellenlangen Reimketten, die Punsh-Lines oder das Double-Time-Rappen. Um auf den Flow zu achten, wurde ich natürlich weniger durch Kollegah sensibilisiert als durch Genetikk, die mir dann schon eher den Old-School-Hip-Hop schmackhaft gemacht haben.

Zu US-Hip-Hop hatte ich dann erst Anfang Zwanzig einen Zugang, als meine Englischkenntnisse so weit ausgereift waren — ich hatte erst später Abitur gemacht —, sodass ich mir die Texte auch über die Barriere der verschiedenen Ghetto-Slangs hinweg erschließen konnte.

Tom-Oliver Regenauer: Ich sehe da einige Parallelen. Ich habe am Anfang von den englischen Texten ebenfalls nicht viel verstanden. Bei mir begann es damit, dass ich die ganze Zeit die Beatles-Platten meiner Eltern gehört habe und schon als Kind unbedingt Schlagzeuger oder Gitarrist werden wollte. Ringo Starr ist für mich derjenige, der etablierte, was wir heute einen klassischen Beat nennen. Die Beatles waren die Ersten, die diesen coolen, latent schleppenden 4/4-Groove hatten.

Irgendwann entdeckte ich dann auch deutsche Interpreten wie Major Tom, Frank Zander oder Falco. Letzterer machte im Grunde genommen das, was wir heute als Rap bezeichnen — er sprach in Reimen und sang nicht. Aber das war natürlich noch nicht Hip-Hop. Irgendwann sah ich dann im Fernsehen einen kurzen Ausschnitt von Run DMC, in welchem der DJ, Jam Master Jay, mit einem Plattenspieler Sounds generierte. Von da an wollte ich nicht mehr einfach Musiker, sondern DJ werden, weil ich das beeindruckend fand, auch wenn mir das alles noch zu fröhlich war. Erst mit N.W.A, Mobb Deep und Wu-Tang Clan wurde das Soundbild dunkler. Das andere war mir einfach zu entspannt und „jazzy“. Dr. Dre, RZA und DJ Premier hatten jene Samples, die mich inspirierten, selbst Beats zu produzieren.

Wie gesagt, am Anfang, mit 11 oder 12, habe ich auch nicht so viel verstanden, nur so einzelne Phrasen. Ich mochte es vor allen Dingen, wenn der Künstler eine markante Stimme hatte. Und das hatten die ersten Interpreten der „Golden Era“. Heute klingt alles gleich, zum Beispiel weil die Stimmen mit „Auto Tune“ nachbearbeitet werden.

Ich sehe, du hattest schon sehr früh einen Zugang zu dieser Kultur. Lass uns mal über die politische Komponente des Hip-Hops sprechen. Zu Beginn war diese Kultur äußerst subversiv und ein Sprachrohr der Unterdrückten in der Gesellschaft.

Eigentlich nicht! Es ist insofern richtig, dass Hip-Hop zu Beginn die Musik der schwarzen Community in den Ghettos in den Staaten war. Aber am Anfang war das eine reine Partymusik. Es begann einfach damit, dass DJs an den Basketball-Plätzen in der Bronx hingegangen sind und zwei Platten von James Brown aufgelegt haben und nur die Stellen laufen ließen, an der kein Gesang, sondern nur das Schlagzeug respektive der Beat kam. Dazu brauchte man die Platte in zweifacher Ausführung, damit man die Platten links und rechts laufen lassen konnte, um dann die jeweiligen Instrumental-Abschnitte zusammenzuschneiden. Später hat man dann diese vier Takte aufgenommen und immer wieder wiederholt, sodass die Leute dazu tanzen konnten. Im Grunde genommen hat Hip-Hop als Partymusik begonnen.

Dann könnte man ja sagen, dass der heutige Massenware-Hip-Hop auf Spotify eine Rückkehr zu den Wurzeln, ein „Back to the roots“ darstellt, oder?

Ja. Nur mit dem Unterschied, dass die DJs verschwunden sind. Aber zurück zu der Entwicklung: Am Anfang waren das nur zusammengeschnittene Schnipsel aus Liedern, aus denen eine Tanzmusik erstellt wurde. Erst im zweiten Schritt, als es dann Sampler gab, war es so weit, dass man die Loops unendlich lang hintereinander schneiden und professionell darauf rappen konnte. Aber am Anfang war das Rappen nur eine Art Moderation, mit der das Publikum zum Tanzen animiert werden sollte, bei der Durchsagen gemacht wurden wie etwa, dass am Parkplatz ein Auto stünde, dass der Besitzer doch bitte wegfahren solle. Für solche Sachen war das Mikrofon, das „Mic“, da. Erst mit der Möglichkeit des Sampling standen plötzlich die Menschen am Mic — die Masters of Ceremony (MC) — im Vordergrund. Professioneller Rap entwickelte sich mit der Professionalisierung der Beat-Produktion aus der Improvisation heraus.

Das der Ursprung so „partylastig“ war, ist mir nicht bewusst gewesen. Aber wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gab es doch eine sehr lange Phase, gerade in 90er-Jahren, in welcher diese Kultur — Rap, Breakdance, Graffiti — primär ein Ausdrucksmittel, ein Vehikel für die Unterdrückten im Kampf gegen das System war. Und irgendwann hat sich zunehmend eine Kommerzialisierung eingeschlichen. Wo würdest du den Kipppunkt in dieser Kultur verorten, von dem an das Ganze in Richtung Kommerzialisierung abdriftete? Vielleicht fällt dir auch ein konkreter Interpret ein, der für dieses Abgleiten sinnbildlich ist.

Das ist schwer zu sagen. Es gab bereits in den 80er-Jahren Veröffentlichungen, die man Hip-Hop schimpfte. Die erste erfolgreiche Single kam Anfang der 80er-Jahre auf den Markt. Da wurde viel mit Synthesizern gearbeitet, folglich klang das nicht wie der Hip-Hop, den wir heute kennen. Eine Kommerzialisierung gab es von Anfang an. Als dann die MCs an den Mics wichtiger wurden, als sie anfingen, Texte zu schreiben, kam natürlich auch der sozialkritische Aspekt mit rein. Sie schrieben über ihr Lebensumfeld in den Ghettos, über die Armut und die Unterdrückung der schwarzen Community. Als das Genre zunehmend auch in den Clubs lief, in denen wohlhabende Weiße tanzten, sind natürlich auch die großen Major-Labels darauf aufmerksam geworden und begannen, diese Musikform zu vermarkten. Aber das verlief fließend, es gibt somit keinen konkreten Zeitpunkt, ab dem Hip-Hop seine Unschuld verloren hat.

Fallen dir irgendwelche konkreten politischen Erfolge ein, die der Hip-Hop für sich verbuchen kann? Irgendwelche Formen der Emanzipation, die es ohne diese Kunstform nie gegeben hätte?

Nachdem der Hip-Hop zunehmend kommerzialisiert wurde, gab es natürlich eine Gegenbewegung in den Ghettos. Der Vorwurf lautete: „Die Weißen nehmen uns unsere Musik weg, verdienen damit Geld, während wir weiter in der Armut leben.“

Man wollte die Musik zurückerobern, und so entstand im Grunde genommen der Gangsta-Rap, auch Street-Rap oder Reality-Rap genannt. Es folgte eine Flut an sozialkritischen Texten. Das war auch die Zeit von und nach Macolm X und Martin Luther King, in der die Black-Panther-Bewegung sehr stark wurde. Die Künstler hatten nicht den Zugang zu den teuren Tonstudios wie die reichen Weißen und nahmen so ihre Lieder bei sich zu Hause auf. Sie schilderten sehr ungeschminkt die Missstände in den Ghettos. Und die dortige Situation war in den 80ern wirklich desaströs.

Gerade in diesem Jahrzehnt gab es eine immense Flut an Kokain, Heroin und Crack. Manche Viertel sahen wirklich wie Kriegsgebiete aus. Da gab es keine Sozialwohnungen oder Sozialhilfe, das war „Wild West“. Der Verdienst dieser Musik war es, dass auch die restliche Gesellschaft auf die dortige Situation aufmerksam wurde. Die schwarze Bevölkerung hat sich mit dieser Musik Gehör verschafft. Es war nach Jazz und Soul die vereinnahmendste kulturelle Strömung aus der Black-Community, die im Mainstream ankam und nicht mehr ignoriert werden konnte.

Aber hat diese Musik dann auch tatsächlich eine Wirkung gezeitigt, also dass die soziale Situation in diesen Vierteln merklich besser wurde? Wurden Sozialwohnungen errichtet, soziale Angebote gemacht, und hat sich die Lebensqualität deutlich verbessert?

Nicht in dem Sinne, dass der Staat oder die Stadt kamen, um dort die sozialen Verhältnisse durch konkrete politische Maßnahmen zu verbessern. Aber dadurch, dass die Black Community auf sich aufmerksam machte, konnten Konzerte veranstaltet, Mixtapes verkauft werden, und dadurch floss mehr Geld in diese Viertel. Irgendwann traten die DJs dann auch in gut zahlenden Clubs in Manhattan auf und nicht nur in irgendwelchen Hinterhöfen. Hip-Hop kam in die Charts. Das warf zusätzliche Aufmerksamkeit auf die desolaten Zustände in den Armenvierteln, sodass irgendwann auch politische Maßnahmen ergriffen wurden, um die Zustände in der „Hood“ zu verbessern.

Sprechen wir mal über analoge Tendenzen in Deutschland und Europa. Hier wurde das Konzept gewisserweise adaptiert. Wobei man natürlich sagen muss, dass das Wohlstandsgefälle hier — noch – nicht vergleichbar mit dem in den USA ist. Ich denke in diesem Kontext vor allem an Klassiker wie „Mein Block“ von Sido, welcher 2004, kurz nach Initiation der Agenda 2010, erschien. Ich kann keinen „Impact“ erkennen, dass sich durch solche Tracks die soziale Situation in Deutschland verbessert hätte. Im Gegenteil ging es ja in den letzten zwei Dekaden immer weiter bergab.

Zugleich habe ich das Gefühl, dass diese Armut zunehmend glorifiziert wird; ich sehe Jugendliche aus der Mittelschicht, die die Musik über Armut hören und das irgendwie „abfeiern“, anstatt das Problem als solches zu erkennen und sich für eine Verbesserung einzusetzen. Man hört diese Musik und schaltet sie dann wieder aus, so wie man auch einen Film pausiert oder wie man ein Buch einfach weglegt. Das Geschilderte bleibt gewissermaßen Fiktion, obwohl es für die Interpreten eine harte Realität darstellt.

Hip-Hop hat ja in Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie in den USA vollzogen und begann als Partymusik. Die ersten Bands haben auf Englisch gerappt, bis man sich irgendwann traute, seine Muttersprache zu verwenden. Das galt zunächst als nicht „kredibil“, beziehungsweise glaubwürdig.

Erst später kamen ernste, sozialkritische Tracks, zum Beispiel von Torch und Advanced Chemistry. Die haben, neben einem Song mit der jungen Anke Engelke, zum ersten Mal einen reichweitenstarken Track aufgenommen, der das Thema Ausländerfeindlichkeit im Deutschrap thematisierte. Mitte der 90er und in den frühen 2000er-Jahren wurde es dann zunehmend politischer und zuweilen auch philosophischer. Es entstanden Bands wie RAG, Lyroholika, Blumentopf, STF, Ai-Tiem, Die Firma oder Anarchist Academy. Gehaltvolle Texte waren bei diesen Künstlern integraler Bestandteil der Musik.

Hat dich das geprägt?

Durchaus!

Hip-Hop war und ist meine „Religion“. Das Schöne an dieser Religion ist, dass es keine Rolle spielt, wo du herkommst, wie viel Geld du hast, wie du aussiehst, was du glaubst oder ob du zum Beispiel im Rollstuhl sitzt — du bekommst in der Community Respekt, wenn du mitmachst und das einbringst, was du kannst.

Du bist als Mensch willkommen. Ich war überall auf der Welt unterwegs, und immer, wenn ich anderen Hip-Hoppern begegnet bin, hat man sich sofort verstanden. Da spielten Religion, Hautfarbe, Ethnie oder das Alter keine Rolle mehr — man hat sich sofort verstanden, weil Hip-Hop eine universelle Sprache ist.

Aber um auf deinen vorherigen Punkt zurückzukommen: Das, was beispielsweise ein Sido in „Mein Block“ rappt, ist selbstverständlich nicht ansatzweise mit dem zu vergleichen, was sich in den US-amerikanischen Ghettos zugetragen hat. Du kannst als Weißer in einer überwiegend weißen Gesellschaft nicht die gleiche Ausgrenzung erfahren wie „People of Color“ in den USA, die systematisch unterdrückt wurden und wo du selbst in Bussen nicht auf der gleichen Bank sitzen durftest wie Weiße. Das ist ein ganz anderes Momentum an gesellschaftlicher Ächtung.

Deswegen hat die Community in Amerika viel mehr politische Aufmerksamkeit generiert. Das kann ein Berliner nicht sagen, egal in welchem Armenviertel er wohnt und wie miserabel seine wirtschaftliche Lage ist. Man wird vielleicht hier und da schlechter behandelt, aber man wird nicht so segregiert wie ein Dunkelhäutiger in den USA der 60er-, 70er- oder 80er-Jahre. Deswegen konnte aus der kulturellen Bewegung in Deutschland auch kein signifikantes Veränderungspotenzial für die politische Landschaft oder die Zivilgesellschaft erwachsen.

Den USA und Europa ist in dieser Hinsicht wiederum gemein, dass Rapper als Reporter der Straße fungierten. Durch sie erfuhren die Menschen aus der vornehmlich weißen Mittelschicht, welche Missstände in den jeweiligen sozialen Brennpunkten herrschten. Diese Berichte ersetzten die beschönigenden Nachrichten, die dem unbedarften Konsumenten suggerierten, es sei alles in bester Ordnung im Lande. Die Armut und die Kriminalität wurden sichtbar.

Aber irgendwann hat sich das komplett gedreht, sodass dieser Lebensstil in den Ghettos und Randbezirken glorifiziert wurde. Die Kids fanden es irgendwann „cool“, dass man sich in den Kopf schießt oder Drogen dealt. Dabei war es nie die Intention dieser Musik, all das zu glorifizieren. Im Gegenteil! Sie sollte als Mahnung fungieren, aufrütteln und die Gesellschaft darauf aufmerksam machen, was in diesen Vierteln an Negativem geschieht.

Du hast gerade die Glorifizierung des Gangster-Seins angesprochen. „Harter Rap“ ist in diesem Zusammenhang ein geflügeltes Wort. Dieser geht nicht selten mit der Ausformulierung extremer Gewaltfantasien einher. Ich denke da an die Kollabo-Alben „Jung, brutal, gutaussehend“ von Kollegah und Farid Bang. Siehst du darin eine Art „Zivilisierung“ der Gewaltfantasien insofern, als diese durch die Musik ein Ventil finden? Wenn das Gewaltpotenzial etwa dadurch ausagiert wird, indem es beispielsweise im Fitnesscenter beim „Pumpen“ kanalisiert wird und kraft dieser harten Musik noch mehr Gewichte gestemmt werden können?

Kunst darf alles! Es gibt für mich kein Zwischending, keine Grauzone.

Alles ist erlaubt, solange es nicht justiziabel ist, wie beispielsweise Aufrufe zu physischer Gewalt. Alles andere ist in der Kunst erlaubt. Früher gab es Künstler, die auf die Bühne und ins Publikum uriniert oder ihre Fäkalien im Museum ausgestellt und das als Kunst ausgewiesen haben. Warum sollte es dann Grenzen bei Rap-Texten geben? Außerdem hatten Punk, (Hard-)Rock oder Metal doch auch immer harte und aggressive Texte, oder?

In unserer alten Band, als Teenager, haben wir uns auch mal fiktive Szenarien von Straßenkämpfen und Revolutionen vorgestellt. Dabei haben wir auch viel Blödsinn erzählt und mal gerappt, man solle Merkel eine auf die Nuss hauen und solche Dinge. Aber das waren fiktive Settings. All das darf man sagen, das ist die Freiheit der Kunst. Wenn man nun anfängt, irgendwelche Grenzen zu ziehen, dann geht es politisch, gesellschaftlich und künstlerisch in eine ganz falsche Richtung. Das darf nie passieren, die Kunst niemals eingeschränkt werden. Sonst wird es wirklich totalitär. Das schließt eben auch geschmacklose Sachen mit ein.

Und ja, es ist ein guter Katalysator. Wenn ich drei Stunden im Studio meinen Frust „rausgerappt“ habe oder wenn ich beim Fitnesstraining Songs höre, in denen jemand schreit „Fuck the Police!“ oder so, dann kann ich damit sehr gut — und ohne jemandem zu schaden — meinen Frust über das herrschende System rauslassen. Ein idealer Blitzableiter. Wie Headbanging für Heavy-Metal-Fans.

Darüber hinaus ist es auch immer die Aufgabe der Kunst, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Die Kunst muss dem Künstler einen Raum geben, in welchem sich dieser unverfälscht und authentisch ausdrücken kann und darf, einfach schon, damit der Künstler nicht irgendwann verrückt wird. Was in einem rumort, muss einfach raus. Mit welcher Ausdrucksform ist dann einerlei — das kann Musik sein oder auch Bildhauerei. Es wäre besser, mehr Menschen würden den Weg der Kunst wählen, statt den Frust auf Social Media oder gegenüber ihren Mitmenschen rauszulassen.

Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist, ist die Wandlung der Song-Architektur im letzten Jahrzehnt. In meiner Wahrnehmung waren bis in die Mitte der 2010er-Jahre Rap-Songs wie folgt aufgebaut: zwei bis drei Parts (Strophen) à 16 Bars (Verse), dazwischen die Hook (der Refrain), und vielleicht gab es am Ende noch eine Bridge. Es war das Normalste, dass die Tracks über drei Minuten gehen.

Heute kann man froh sein, wenn der durchschnittliche Rap-Song länger als 2,5 Minuten geht. Die Songs werden auf Grundlage von Spotify-Algorithmen konstruiert, sodass möglichst viele Zuhörer erreicht werden. Da Streams erst nach wenigen Sekunden als solche gezählt werden, beginnen viele Rap-Songs mittlerweile direkt mit einer — im besten Falle — eingängigen Hook, die den Zuhörer für die notwendigen ersten Sekunden an den Song binden soll, ehe er weiterklickt.

Hinzu kommt der überaus inflationäre Einsatz von Stimmnachbearbeitung und jaulenden Autotune-Effekten, die zumeist die Unzulänglichkeiten des Interpreten kaschieren sollen. Wie kannst du dir diesen Wandel der Song-Architektur erklären? Hat das rein kommerzielle Gründe, oder stecken andere Motive dahinter? Hat das vielleicht auch etwas mit bestimmten Frequenzen zu tun? Es gibt schließlich auch die Debatte darüber, warum Songs mit 432 Hz und nicht mehr mit 440 Hz produziert werden?

Wir müssen hier zwischen Form und Inhalt differenzieren. Der Rap, den ich früher gerne gehört habe, der hatte gar keine Hook. Da wurde einfach durchgerappt. Der Refrain hat sich erst später eingeschlichen, dann nämlich, als Rap zunehmend im Radio gespielt wurde und es zwecks des Wiedererkennungswertes sinnvoll war, einen Refrain einzubauen.

Früher hatten die Künstler etwas zu sagen, und entsprechend lang waren die Lieder. Nun folgt die Form dem Inhalt, der kaum noch vorhanden ist. Man arbeitet mit Song-Schablonen, die einfach nur noch mit austauschbaren Texten gefüllt werden. Das ist ja auch ein klarer Indikator dafür, dass die Gesellschaft verblödet.

Mit der Einführung der Smartphones im Jahr 2007 sind wir Menschen messbar dümmer geworden. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist in dieser Zeit von 16 auf 11 Sekunden runtergegangen. Und wir haben eine Gesellschaft, die sich nur noch mit Bildschirmen beschäftigt anstatt mit Büchern oder realen Erfahrungen. Entsprechend gibt es nur noch wenige Künstler mit Grips in der Birne. Die meisten versuchen nur noch, auf irgendwelche Wellen aufzuspringen und damit Geld zu machen. Alles folgt nur noch der Vermarktungslogik der Plattformökonomie.

Hip-Hop ist zu einem Massenprodukt geworden, gewissermaßen der neue Schlager. Ich merke es bei mir selber, dass ich gar nicht mehr up to date bin, wenn ich den Deutschrap-Kosmos zwei Wochen nicht verfolge. Plötzlich gibt es „Superstars“, von denen ich noch nie zuvor gehört habe. Von T-Low beispielsweise habe ich das erste Mal gehört, als er seinen Auftritt beim Splash-Festival völlig vergeigt hat und komplett Off-Voice gerappt hat und das meiste vom Playback kam. 2006 wurde Kollegah auf diesem Festival allein deswegen schon gescholten, weil er das Mikrofon falsch gehalten hatte. Das zeigt doch, wie sehr der Anspruch der Hörer an die Künstler gesunken ist!

Aber diese Schablonen, von denen du gesprochen hast, lassen sich ja auch auf die Künstler selbst anwenden. Man nimmt einfach irgendeinen Namen, hängt ein „O“ und die ersten drei Zahlen der Postleitzahl dran, und schon ist ein neuer Künstlername geboren. Würde ich eine Rap-Karriere anstreben, könnte ich mich einfach „Riedlo814“ nennen. Fertig.

Auch die ganze Produktionskette, die an einem solchen Künstler hängt, ist mittlerweile ein reines Massenprodukt geworden. Man denke nur an Musikvideos. Ich erinnere mich noch an den Beginn der 2010er-Jahre, als es wirklich noch etwas ganz und gar Besonderes war, wenn ein Künstler in einem aufwendig gestalteten Musikvideo mit vielen Effekten, ästhetischen Kulissen und beeindruckenden Choreografien aufgetreten ist. Heute sehe ich irgendwelche No-Names, die in Hochglanzvideos planlos umherspringen.

Das ist natürlich eine Sache der technischen Evolution. Als ich angefangen habe, Beats zu bauen, musste man sich wirklich noch mit der Technologie beschäftigen, musste einen Sampler kaufen und hat sich dann auch gewundert, weshalb keine Musik rauskommt, wenn man gewisse Knöpfe drückt. Man musste erst einmal Platten suchen und Töne aufnehmen, um so einzelne Schnipsel der Platte von maximal drei Sekunden Länge zum Sampeln zu verwenden. Bassline, Kickdrum, Snare — all das musste man einzeln suchen und zurechtschneiden, um einen Beat bauen zu können. Man benötigte noch ein Grundverständnis von Takt, Melodie und Komposition, um daraus etwas zu machen, das sich gut anhört.

Heute öffnest du einfach eine Software wie „Logic“ oder „Garage Band“ und findest darin so viele Bestandteile des Beat-Bauens in vorgefertigter Form, für die du früher dieses technische Grundverständnis benötigt hast. Da ist einiges vollautomatisiert. Heute kann ich dir so einen Beat, der im Fernsehen oder so läuft, in fünf Minuten zusammenbasteln. Mit Können hat das nichts zu tun, du musst keinerlei Ahnung von Musik haben, um Musik zu machen.

Und in anderen Bereichen verhält sich das nicht anders. Ein Musikvideo kannst du heute notfalls mit dem iPhone machen und schneidest das dann abends schnell auf dem Mac zusammen. Damit hast du dann ein ganz passables Video. So gesehen kann man heute leicht mit Home-Equipment machen, wofür man früher noch 20.000 Euro gezahlt hätte.

Hinzu kommen noch die derzeit gehypten Chatbots. Die könnten vermutlich so einen typischen Deutschrap-Song von heute ohne Weiteres verfassen, und das in wenigen Sekunden.

Es gibt mittlerweile einen David-Guetta-Song mit einem Eminem-Feature, welches er nie gemacht hat. Da wurde durch Chat-GPT maschinell ein Text verfasst, ein anderes AI-Tool für Stimmenimitation hat diesen mit Eminems Stimme intoniert, und fertig war das Eminem-Feature, welches es nie gegeben hat.

Das heißt, es gibt einen Eminem-Track, der nicht von Eminem ist? Wenn wir so weit sind, wäre es ja wohl für einen „Rapper“ ein Leichtes zu sagen, er hätte keine Lust, ins Studio zu gehen — stattdessen könnte er sich ein ganzes Album von Bots und der KI produzieren lassen?

Theoretisch ja. Ein Beat ist superschnell produziert, du musst vielleicht hier und da noch etwas schneiden, dann noch ein klein wenig Mastering, und der Song ist fertig.

Wahnsinn! Im Grunde genommen ist damit dem Hip-Hop das Herz amputiert worden.

Das ist das Programm der Zeitenwende. Dazu gehört eben auch, dass Kunst und Kultur ausgehöhlt und entleert werden und der Mensch als Komponente nutzlos gemacht wird. Letztlich scheint es, als ob Kunst entmenschlicht werden soll. Sieh dir einfach mal Filme wie „Das fünfte Element“ an. Da ist die Kultur noch noch eine Konserve, die im Prinzip nicht mehr das hat, was Kultur eigentlich ausmachen sollte, nämlich kritisch zu sein.

Kunst ist nur dann gut, wenn die eine Hälfte des Publikums sie gut und die andere Hälfte scheiße findet. Wenn alle deine Kunst gut finden, ist diese meistens beliebig, weil sie nicht provoziert. Dabei muss Kunst immer ein provozierendes Element haben. Sie muss der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und Missstände aufzeigen. Sie soll Diskurs anregen, anstatt nur zu gefallen.

Wenn die Kunst nur noch ein Konsumprodukt ist, eine im Hintergrund laufende Fahrstuhlmusik, dann entbehrt sie jeglicher Emotionalität. Aktuell wird alles immer emotionsloser, immer generischer, weniger anspruchsvoll, weniger inhaltlich. Und das gehört alles in diese Agenda der Degeneration des Menschen — je weniger Kultur du hast, desto weniger drückst du dich aus. Das ist ein Kreislauf. Die nächste Generation findet vielleicht gar keine Kafkas, keine Kinskis und keine Beatles mehr. Kurzum: keine wertvolle, analoge, von Menschen gemachte kritische Kunst oder Kultur. Woher soll dann der Samen für den Nachwuchs kommen, wenn dieser auf so etwas gar nicht mehr zuzugreifen weiß?

Aber gibt es gegen diese Entwicklung irgendein Bollwerk? Ich frage mich, wie wir da wieder rauskommen?

Ich bin da eigentlich immer hoffnungsvoll. Ich denke, dass irgendwann alle Menschen, die noch nicht komplett sediert, hypnotisiert und verblödet sind, merken, dass das Leben keinen Spaß mehr macht, wenn man immer nur die gleiche Musik hört und die immer gleichen Bilder sieht, wenn sich nirgends Widerworte finden. Darauf sind wir Menschen nicht ausgerichtet, und daher bin ich auch davon überzeugt, dass diese Dehumanisierung auf Dauer nicht funktionieren wird.

Die Wahrheit ist diese Kerze, die selbst im dunkelsten Raum noch irgendwo Licht hinwirft. Und dieses Licht wird sich durchsetzen. Vielleicht wird es länger dauern, bis es so weit ist, aber Wahrheit und Liebe werden sich durchsetzen. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Kein Imperium hat ewig gehalten. Das gilt auch für das gesichtslose, technokratische Imperium, welches wir derzeit im Aufbau befindlich sehen.

Bleiben wir noch einen kurzen Moment bei der KI. Würdest du sagen, dass wir uns für eine erstrebenswerte Zukunft gänzlich von der KI und ihren Möglichkeiten lossagen müssen, oder gibt es deiner Meinung nach auch Potenziale der KI, die wir besten Gewissens beibehalten können? Beispielsweise irgendwelche lästigen Arbeitsprozesse in der Kunst, die keine Freude bereiten, aber für die Entstehung des Kunstwerks durchgeführt werden müssen — die könnte man doch theoretisch dem künstlich intelligenten Laufburschen überlassen, oder?

Ja klar! Ich will auf keinen Fall Revisionismus verbreiten. Ich selbst nutze „Logic“, weil das viel schneller geht als früher. Als ich eine Bandmaschine hatte, bei der man zwei Rollen vom Band nehmen, mit der Schere schneiden und zusammenkleben musste, sodass das alles perfekt passte, war das sehr zeit- und kostenaufwendig. Das mache ich mittlerweile auch mit „Logic“. Aber der kreative Prozess davor liegt ja immer noch in meiner Hand. Da entstehen die Dinge analog.

Zur KI: Ich kann mir schon vorstellen, dass man die KI damit beauftragen kann, dass sie beispielsweise eine Kurzbeschreibung zu einem Album verfassen soll, damit Interessenten eine Ahnung davon haben, um was für eine Platte es sich handelt. Wir sollten die KI als Hilfsmittel begreifen, wir dürfen aber nicht dahin kommen, dass wir von ihr kontrolliert werden oder sie einsetzen, um etwas zu kreieren, das dem Homo sapiens obliegt: Emotionen.

Was hältst du davon, wenn wir zum Ende unseres Gespräches noch je zwei bis drei Longplayer auflisten, von denen wir der Meinung sind, dass man diese als politisch aufgeweckter Mensch gehört haben sollte?

Ja, das ist eine gute Idee! Ich fang mal an mit:

„Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ von Wu-Tang Clan (1993).

Wer sich mit amerikanischem Hip-Hop beschäftigt, sollte sich unbedingt mit diesem All-Time-Classic-Album auseinandersetzen. Das ist für mich die Oberklasse der New York Golden Era, gefüllt mit sozialkritischen Texten. Da sind sehr viele aggressiv klingende Songs drauf, aber eben auch Soul. Allein die extrem gute Produktion macht das Album so hörenswert.

„Unter Tage“ von RAG (1998)

Das ist für mich das Album mit den besten jemals verfassten Deutschrap-Texten. Das sollte man sich unbedingt anhören, das hat so geniale sprachliche Kniffe und eine tiefsinnige Lyrik. Ich höre es noch heute, nach über 20 Jahren, und finde immer noch unentdeckte Wortspiele und Vergleiche in den Texten. Darüber hinaus ist auch dieses Album unglaublich gut produziert. Der Sound ist sehr angenehm, wenig aufdringlich, analog produziert und sehr zeitlos. Man kann sich das selbst heute noch gut anhören.

Leider ist der talentierteste Lyriker der Band heute politisch eher im Mainstream angekommen. Irgendwie hat er die Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht wirklich mitbekommen. Vor Kurzem hat er eine Single gegen Querdenker veröffentlicht — ich bin kein Querdenker in dem Sinne, habe nichts mit dieser Vereinigung zu tun, aber das ist für mich völlig unverständlich. Früher versprühten seine Texte einen sehr rebellischen Unterton und klangen staatskritisch. Davon ist heute nicht mehr viel geblieben.


Das kenne ich nur allzu gut. Ich bin auch von vielen Interpreten in den letzten drei Jahren enttäuscht worden. Insbesondere von Prinz Pi. Dieser war früher so immens systemkritisch. Davon ist heute nichts mehr geblieben. Er hat beispielsweise Features mit Radiomusikern wie Mark Forster und längst keine Berührungsängste mehr mit radiotauglichen Hooks. Früher hat er Textzeilen geliefert wie:

Fürchtet euch vor Nadeln, sie impfen euch mit Gift /
Uncle Sam's Arsch ist ein grinsendes Gesicht.

Das ist von dem Album „Teenage Mutant Horrorshow 2“ von 2009. Das Album lief bei mir im ersten Lockdown in der Dauerschleife, weil es in dieser Zeit so gut gealtert war. Doch anscheinend kann sich der Prinz an seine alten Werke wohl nicht erinnern ...

Aber dann will ich jetzt mal meine drei Alben auflisten:

„Free Spirit“ von Kollegah (2022)

Kollegah hat in den drei Jahren weitestgehend geschwiegen, aber immer wieder in mal mehr, mal weniger kryptischen Textzeilen durchschimmern lassen, dass er versteht, was hier abläuft. Auf diesem Album spricht er endlich Tacheles und animiert den Hörer, sich von allen gedanklichen Ketten freizusprengen, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich nicht weiter vom System indoktrinieren zu lassen. Der Titel ist Programm, und ich denke, dass das Album mit jedem weiteren Jahr immer besser altern wird, sodass wir irgendwann auf diesen Longplayer zurückblicken und staunen, wie sehr er seiner Zeit voraus war.

Darüber hinaus hat das Album einen interessanten Leitfaden: Es beginnt in einer — für Kollegah typischen — düsteren Atmosphäre und wird dann im weiteren Verlauf immer lichtvoller und erhebender. Hier zeigt sich Kollegah vermehrt von seiner spirituellen Seite. Die Platte wurde in der Öffentlichkeit natürlich verrissen — ein Indikator, dass er einen wunden Nerv getroffen hat.


„MDNA“ von Genetikk (2021)

Genetikk waren ja unter den Rappern mit dieser Millionenreichweite wohl die lautstärksten. Gerade auf Twitter sind die ja vollkommen eskaliert und haben kein Blatt vor dem Mund genommen. Gerade im Kreis vieler Maßnahmenkritiker dürfte dieses Album bekannt und beliebt sein. Ich persönlich verbinde es mit den vielen Demonstrationen im Jahr 2021, insbesondere Tracks wie „Requiem“, „Antiassimiliert“ und natürlich ganz besonders „German Angst! (Der Traum ist aus)“. Die melancholischen Momente des Jahres 2021, hervorgerufen durch die massiven Repressionen, verbinde ich mit dem Track „Supernova“. Ich kann mir vorstellen, dass diese Platte vielen Menschen Kraft gegeben hat, die sich 2021 einsam und isoliert gefühlt haben.


„Alchemist“ von Kilez More (2017)

Das Album ist so „gefährlich“, dass wir es gar nicht auf Spotify verlinken können, weil es von Spotify 2021 gelöscht wurde. Kilez More, der seine Straßenkredibilität aus seiner Präsenz bei Demonstrationen schöpft, konnte damals schon auf eine lange Diskografie systemkritischer Tonträger zurückblicken. Keiner davon hatte jedoch kommerziellen Erfolg. Mit „Alchemist“ sollte das anders werden. Es wurden überaus aufwendige Videos produziert, und in den Klangteppich wurde entsprechend investiert, sodass sich die Beats mit der oberen Liga messen lassen konnten. Dass die systemkritischen und auch spirituellen Texte des Album à la bonne heure sind, brauche ich, glaube ich, nicht zu erwähnen.

Als das Album damals im Frühsommer 2017 erschien, war das eine Sensation, weil es Platz 4 der deutschen Album-Charts erklomm. Und entsprechend skandalös war es, als sich alle Hip-Hop-Medien — außer Rap.de — in Schweigen hüllten. Damals haben physische Albenverkäufe noch eine Rolle gespielt, obwohl Spotify zu dieser Zeit schon sehr dominant war. Und trotz der Umbruchphase hat es Kilez More geschafft, diesen systemkritische Longplayer in die Charts zu hieven. Diese Platte lief bei mir im Sommer 2017 in der Dauerschleife und ist auch heute nach fast sechs Jahren immer noch eine enorm starke Platte. Die Löschung durch Spotify ist da im Grunde genommen ein Ritterschlag.


Ich denke, damit haben wir unseren Lesern doch eine schöne Palette an Hörstoff mitgegeben.

Vielleicht findet jetzt sogar der eine oder andere, der zuvor mit Hip-Hop nichts am Hut hatte, einen Zugang zu dieser Kultur. Vielen Dank für dieses generationsübergreifende Gespräch, ich habe sehr viel gelernt!

Sehr gerne! Im Hip-Hop gilt:

„Each one, teach one.“


Werke von Tom-Oliver Regenauer aka. Sync Floyd:


Sound Survivors — Weltkrieg V3.0 (Produktion: Regenauer / Text: Andrasfalvy, Regenauer, Laubel)



Sync Floyd // #WIAHR (feat. Craig G. x Leona Berlin)



Sync Floyd // The Virus (feat. Craig G.)

von Tom-Oliver Regenauer


Verwandte Beiträge